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Das „Fallbeil“ fällt vorerst noch nicht

DER BESCHLUSS üBER DIE SCHLIEßUNG DER GEBURTSSTATION IN DER DILLENBURGER KLINIK IST VERTAGT.

(jli). Landrat kündigt an: Klinik-Aufsichtsrat wird Entscheidung über Schließung der Geburtsstation vertagen und noch Optionen prüfen

WETZLAR/DILLENBURG. Der Beschluss über die Schließung der Geburtsstation in der Dillenburger Klinik ist vertagt. Am Dienstag (19. Juli) berät der Aufsichtsrat und wollte eigentlich darüber entscheiden, doch Landrat Wolfgang Schuster (SPD), Aufsichtsratsvorsitzender der kreiseigenen Lahn-Dill-Kliniken, kündigte am Montag im Kreistag an: „Wir werden dann nicht das Fallbeil fallen lassen.“

Schuster weiter: „Ich verspreche heute hier: Wir werden alle Optionen, die wir haben, prüfen. Diesen Auftrag werden wir an die Klinik-Geschäftsleitung erteilen. Im Herbst wissen wir, dann, wie die Optionen aussehen.“ Diese Ergebnisse will er den Kreispolitikern entweder in der September-Sitzung des Gesundheitsausschusses vorlegen, falls möglich aber auch schon vorher in einer Sondersitzung im August.

CDU fordert Gespräche mit Sozialministerium

Der Landrat sagte aber auch: „Ich kann mir keine Frauenärzte backen.“ Hintergrund: Die Klinik will die Geburtsstation zum Jahresende schließen, weil Belegärzte fehlten; weil eine Belegärztin gekündigt habe, kein Ersatz gefunden wurde, und zwei weitere Belegärzte dort schon 63 beziehungsweise 70 Jahre alt seien.

Und er verwies auf Haftungsfragen. 2017 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss – ein Selbstverwaltungsgremium von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen – bundesweit 1000 der 2000 Geburtshilfen einen Qualitätscheck unterzogen. Die Geburtshilfe der Dillenburger Klinik erhielt damals ein „unzureichend“. Grund: Bei einer von 539 Geburten hatte es ein Problem gegeben, ein Belegarzt hatte unbedingt versucht, ein Kind auf natürliche Weise zur Welt zu bringen, länger als 20 Minuten bis zu einem Kaiserschnitt gewartet. Laut der Mutter war das Kind tot geboren worden und habe wiederbelebt werden müssen. Der Belegarzt war kurz nach dem Vorfall nicht mehr für die Klinik tätig.

CDU-Kreistagsabgeordneter Jörg Michael Müller sagte, das Thema wecke Emotionen und erzeuge Betroffenheit. Die CDU sei überrascht gewesen von der Plötzlichkeit der Entscheidung. Dass Ärzte älter werden, habe man schließlich schon länger gewusst. Es sei selbstverständlich, dass auch weiterhin in Dillenburg Geburten möglich sein müssten. Die Klinikleitung müsse sich Gedanken machen, wie der Erhalt möglich sei. Kevin Deusing (CDU) kritisierte, dass bislang noch keine Alternativen geprüft worden seien, auch nicht in Gesprächen mit dem hessischen Sozialministerium.

Tim Zborschil (Linke) sagte: Eine Entbindungsstation sei für die Gesundheitsversorgung im nördlichen Kreisgebiet zwingend erforderlich. Weitere Fahrten für Gebärende brächten sonst Mutter und Kind in Gefahr. Er stellte infrage, ob die Klinik wirklich mit Nachdruck neue Ärzte gesucht habe. Für ihn ist klar: Die Klinik handele inkompetent, er sprach von einem „Fachkräftemangel im Aufsichtsrat“. Jacqueline Hermann (AfD) nannte die geplante Schließung „ein absolutes Unding“. Der Lahn-Dill-Kreis verliere damit auch Attraktivität für junge Familien. Sie fragte, ob die Klinikleitung alles getan habe, Ärzte zu halten und nicht nur neue zu gewinnen.

SPD sieht keine politische Entscheidung

Martina Klement (Grüne): „Ich finde diese Geburtsstation extrem wichtig für Dillenburg und den nördlichen Kreis. Wir müssen alles tun, sie am Leben zu halten.“ Ihre Kritik richtete sich an das Gesundheitssystem: Es sei krank, die Rahmenbedingungen stimmten nicht. Und in Dillenburg stünde man nun mit dem Rücken an der Wand, in einer nahezu ausweglosen Situation, Ärzte gewinnen zu müssen. SPD-Fraktionsvorsitzende Cirsten Kunz: „Es war keine politische Entscheidung, diese Geburtsstation zu schließen und keine strategische Frage, sondern eine rechtliche.“ Sie habe bei der Entscheidung großes Vertrauen in die Klinik-Geschäftsführung, den Aufsichtsrat und insbesondere den Aufsichtsratsvorsitzenden.

Gudrun Esch (FWG) begrüßte die Proteste vorm Kreishaus; die Mitarbeiter setzten sich zurecht für den Erhalt und damit auch für alle jungen Frauen im Lahn-Dill-Kreis mit einem Kinderwunsch ein. Damit es weitergehe, sei es aber essenziell, Belegärzte zu finden.

FDP-Abgeordneter Wolfram Dette sagte: „Wir unterstützen alle Bemühungen zum Erhalt.“ Und er merkte an: Das Einzugsgebiet der Dillenburger Klinik habe sich mit der Schließung der Geburtsstation in Biedenkopf vergrößert. Deshalb habe man bei der Entscheidung auch ein bisschen Verantwortung für den Nachbarkreis. „Aber es nützt nichts, wenn wir einfach vollmundig einen Beschluss zum Erhalt treffen, aber können personelle und sachliche Grundlagen nicht bieten.“

Die CDU hatte im Kreistag beantragt, die Kreisregierung solle im Gesundheitsausschuss über die Situation der Geburtsstation berichten. Zudem forderte sie, der Aufsichtsrat solle am Dienstag nicht über die Schließung entscheiden. Dem stimmten alle Abgeordneten zu.

Quelle: Wetzlarer Neue Zeitung, 19.07.2022