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Chance für Zerspaner-Azubis

FRISöRE, BANKER UND CO.: KREISTAG BESCHLIEßT KONZENTRATION DER BERUFSSCHULSTANDORTE IN WETZLAR ODER DILLENBURG

(jli). WETZLAR/DILLENBURG . Viele Azubis im Lahn-Dill-Kreis haben ab August dieses Jahres weitere Wege zu ihren Berufsschulen. Das betrifft insgesamt neun Ausbildungsgänge, sie sollen künftig nicht mehr in Wetzlar und Dillenburg, sondern nur noch an einem der beiden Berufsschulstandorte unterrichtet werden.

Das hat der Kreistag in seiner Sitzung am Montag in Wetzlar beschlossen. Hoffnung gibt es noch für die Zerspanungsmechaniker-Azubis, sie sollten eigentlich nur noch in der Werner-von-Siemens-Schule in Wetzlar unterrichtet werden, möglicherweise bleibt aber der Unterricht an den Gewerblichen Schulen in Dillenburg erhalten.

Das hessische Kultusministerium hat Mindestschülerzahlen für Berufsschulklassen festgelegt: mindestens zwölf pro Ausbildungsgang im ersten Lehrjahr. Diese wurden zuletzt nicht mehr überall erreicht. Bevor das Ministerium deshalb Klassen möglicherweise auch auf Bezirksebene, also eventuell an Standorten außerhalb des Lahn-Dill-Kreises, konzentriert, wollte die Kreispolitik dafür sorgen, dass für die Ausbildungsgänge zumindest ein Standort innerhalb des Kreisgebietes erhalten bleibt (Wetzlar oder Dillenburg) und hat Klassen vorbeugend selbst an einem Standort konzentriert.

Ab August dieses Jahres sollen angehende Bankkaufleute, Frisöre sowie Zerspanungsmechaniker nur noch in Wetzlar unterrichtet werden, Köche, Hotel- und Restaurantfachleute sowie Fachkräfte im Gastgewerbe und in der Systemgastronomie nur noch in Dillenburg. Angehende Fleischer sollen statt in Wetzlar künftig in Dillenburg zur Berufsschule gehen.

So war der Plan der Kreisregierung, so hat es auch die deutliche Mehrheit des Kreistags beschlossen. Mit einer Einschränkung. Das Aus für die Zerspaner-Azubis an der Dillenburger Berufsschule hatte für Protest gesorgt: bei Lehrern der Gewerblichen Schulen, Azubis, Ausbildungsbetrieben, Industrie- und Handelskammer (IHK), IG Metall und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB). So beschloss der Kreistag für diesen Ausbildungsgang einen Kompromiss: Sollten die Betriebe im Raum Dillenburg bis zum 1. August eines Jahres mindestens zwölf Zerspaner-Ausbildungsverträge vorlegen und so die Mindestschülerzahl von zwölf an den Gewerblichen Schulen in Dillenburg sicherstellen, soll dort im selben Jahr der Unterricht für die Zerspaner-Azubis fortgesetzt werden. Also gegebenenfalls auch schon am 1. August dieses Jahres.

IHK begrüßt Entscheidung zu Zerspaner-Azubis

Die IHK Lahn-Dill begrüßte diese Entscheidung zur Zerspanerklasse in Dillenburg: „Wir haben bereits Hinweise darauf, dass die Zahlen im alten Dillkreis wieder ansteigen“, erklärte Geschäftsführer Dietmar Persch am Dienstag per Pressemitteilung. Eine dauerhafte Schließung der Klasse würde laut Persch auf längere Sicht die Betriebe im Altkreis Dillenburg schwächen und den Fachkräftemangel in der Region verstärken.

CDU-Abgeordneter Michael Hundertmark sprach in der Kreistagsdebatte von einem „emotionalen Thema“. Die Entscheidung müsse aber aufgrund von rationalen Erwägungen getroffen werden. „Wir und alle fünf Berufsschulen haben ein Interesse daran, dass die Auszubildenden nicht zur Schule nach Frankfurt, Solingen oder Siegen fahren müssen, wir wollen sie im Lahn-Dill-Kreis halten.“ Er lobte, dass bei der Entscheidung Schulleiter, Schulamt und der Kreis als Schulträger eingebunden waren, künftig müssten aber noch weitere Beteiligte eingebunden werden: Bürgermeister, IHK, Verbände und auch einzelne Betriebe.

Tim Zborschil (Linke) sagte: Die Verlagerung von einem zu einem anderen Standort stelle natürlich eine Verschlechterung für viele Schüler dar. Man sehe allerdings auch die Notwendigkeit der Veränderung, damit der Lahn-Dill-Kreis nicht Ausbildungsgänge komplett verliere. „Wir werden schweren Herzens zustimmen.“

Jörg Ludwig (FWG): Die Zahl der Auszubildenden sei zurückgegangen und das Land Hessen habe Mindestschülerzahlen geregelt. „Da haben wir wenig Einfluss.“ Aber die Faktenlage zwinge zu einer Entscheidung.

Jan Moritz Böcher (SPD): „Unser Ziel ist es, mindestens einen Standort im Lahn-Dill-Kreis zu erhalten. Deshalb müssen wir jetzt handeln.“ Die fünf Schulleitungen seien sich einig. Die Pläne seien ein guter Kompromiss. Jetzt müsse man dafür werben, dass Betriebe wieder mehr ausbilden.

Sebastian Brockhoff (Grüne): „Es wird einfach schlicht zu wenig ausgebildet.“ Sonst müsse man diese Diskussion nicht führen. Die Gründe für diese Entscheidung lägen nicht beim Kreis, aber die Kreispolitik müsse nun reagieren. Es sei ein Kompromiss, der schmerze, denn viele junge Menschen müssten künftig lange Strecken zu ihren Berufsschulen mit dem ÖPNV in Kauf nehmen. „Aber was ist die Alternative? Eine Nicht-Entscheidung wäre der Verlust der Frisör-Ausbildung im Lahn-Dill-Kreis und der langfristige Verlust der Zerspaner an einen Nachbarkreis.“ Seit 2020 seien die Rahmenbedingungen der Mindestschülerzahlen klar, die Betriebe hätten längst reagieren können, „jetzt haben wir den Salat“.

Wolfgang Berns (FDP): „Wir müssen aufpassen, dass die Liste mit den Beschulungsorten außerhalb des Lahn-Dill-Kreises nicht noch länger wird.“ An erster Stelle stehe deshalb die Sicherung mindestens eines Berufsschulstandortes pro Ausbildungsgang innerhalb des Kreises. Auch wenn er Probleme sehe für Berufsschüler aus beispielsweise Fellerdilln oder Rabenscheid, rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn um 7.45 Uhr nach Wetzlar zu kommen.

Mit Ausnahme von AfD und NPD stimmten alle Kreistagsabgeordneten für die Berufsschulpläne. AfD-Fraktionsvorsitzender Lothar Mulch hatte eine „Nichtbefassung“ mit diesem Thema beantragt. Er kritisierte, dass im Vorfeld der Entscheidung der Leiter der Wetzlarer Siemens-Schule Kreistagsabgeordnete zu einer Info-Veranstaltung eingeladen habe, aber keinen Vertreter der AfD. Er wolle dies vors Verwaltungsgericht bringen. CDU-Abgeordneter Jörg Michael Müller fand es zwar „unerträglich“, dass zu dieser Veranstaltung nicht alle Fraktionen eingeladen waren, aber letztlich unerheblich für den Kreistagsbeschluss, denn allen Abgeordneten hätten alle Infos zum Thema vorgelegen.

Quelle: Wetzlarer Neue Zeitung, 30.03.2023