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Ein Rededuell der Kandidaten

KREISTAG BESCHLIEßT DIE AUSGABEN DES KREISES VON üBER EINER MILLIARDE IN ZWEI JAHREN / HAUSHALTSDEBATTE

Von Jörgen Linker WETZLAR/DILLENBURG. Haushaltsdebatte im Lahn-Dill-Kreis, Tag der Generalabrechnung mit der Kreispolitik. Ausgaben und Aufgaben stehen zur Diskussion.

Zehn Minuten vor der Kreistagssitzung. Frank Inderthal und Carsten Braun stehen vor dem Saal im Kreishaus in Wetzlar einträchtig nebeneinander und unterhalten sich lange. Beide sind Bürgermeister, beide sind Kreistagsabgeordnete, beide kandidieren im Juni für den Posten des Landrats im Kreis, Inderthal für die SPD, Braun für die CDU.

Sie sind Konkurrenten, aber sie schätzen einander. Zwei, die wenige Minuten später im Saal zum Rededuell gegeneinander antreten – und sachlich und ruhig bleiben. Politiker von einem anderen Schlag als ihre Ex- beziehungsweise Noch-Parteichefs Hans-Jürgen Irmer und Wolfgang Schuster.

Es geht um Ausgaben der Kreisverwaltung von insgesamt mehr als einer Milliarde Euro in diesem und im kommenden Jahr; die Einnahmen kommen zum größten Teil als Umlage, der Kreis erhebt sie von den 23 Städten und Gemeinden. Die Vierer-Koalition aus SPD, Grünen, FWG und FDP – und somit die Kreistagsmehrheit – stimmte dem Haushalt zu. CDU, AfD und der Abgeordnete der „Heimat (ehemals NPD) stimmten dagegen, die Linke enthielt sich. Die beiden Abgeordneten von „Die Partei“ waren zur Abstimmung nicht mehr da.

CDU-Fraktionsvorsitzender Carsten Braun kritisierte: „Der Lahn-Dill-Kreis hat kein Problem mit den Einnahmen, sondern mit den Ausgaben. Der Wille zum Sparen ist nicht zu erkennen.“ Der Kreis habe mehr Einnahmen und dennoch könne er damit die Kosten für die laufenden Ausgaben nicht decken. Braun forderte einen Verzicht auf die Erhöhung der Umlagen, um die Kommunen zu entlasten.

Außerdem bemängelte er, dass die Kreisverwaltung ihr Personal aufstocken will. Es sei Aufgabe des Landrats, mit dem vorhandenen Personalstamm dafür zu sorgen, dass Führerscheine zeitnah getauscht und Bauanträge zügig bearbeitet werden.

Die CDU hatte mit 14 Anträgen Änderungen des Haushalts gefordert: unter anderem Geld für die Unterstützung von freiberuflichen Hebammen bereitstellen, für Werkräume in Schulen, für die Planung von Parkplätzen an den Berufsschulen in Dillenburg, für ein Pilotprojekt gegen Einsamkeit, eine höhere Sportförderung, eine geringere Umlageforderung an die Kommunen, keine weiteren Stellen in der Kreisverwaltung, Verzicht auf die Jagdsteuer. Alle wurden von der Vierer-Koalition und somit von der Kreistagsmehrheit abgelehnt. SPD-Fraktionsvorsitzende Cirsten Kunz überließ dem SPD-Kreistagsabgeordneten Frank Inderthal das Feld. Von ihm kam Lob für den Haushalt.

Inderthal zählte Aufgaben der Kreisverwaltung auf, für die das Geld verwendet wird, „von A wie Ausländerbehörde bis Z wie Zulassungsstelle“. Er lobte weiter: Angesichts der Vielzahl an aktuellen Krisen habe die Verwaltung eine hervorragende Arbeit gemacht. Und er rechtfertigte die Umlageforderung an die Kommunen: „Wir erdrosseln die Städte und Gemeinden nicht.“ Die Höhe der Umlage liege aktuell unter dem Landesschnitt.

Inderthal kritisierte zudem die CDU-Anträge: Damit fordere die CDU mehr Geld für Aufgaben, für die der Kreis nicht zuständig sei, die bereits erledigt seien oder die bereits auskömmlich finanziert seien. „Dieses Gebaren ist unseriös.“

AfD-Fraktionsvorsitzender Lothar Mulch sprach angesichts der steigenden Umlagen von einer „ungezügelten Gier“ des Lahn-Dill-Kreises. Der Kreis habe mit diesem Haushalt den Griff an der Kehle der Kommunen und der Bürgermeister. Und er spannte in seiner Rede einen weiten Bogen: vom Veranschaulichen der Summe eine Milliarde über den Sozialetat als größten Posten im Haushalt, bis er erwartbar beim Thema Flüchtlinge landete und sagte: „Deutschland zuerst, die deutsche Bevölkerung zuerst.“ Er sprach vom „deutschen Michel“, von „Migrantenströmen“, von „seinen Asylanten“, gemeint war der Landrat, und im Kontrast dazu von „unseren Kindern“ sowie „unseren Frauen und Mädchen“.

Der letzte Haushalt von Landrat Schuster

Die AfD hatte unter anderem einen Stellenstopp für die Verwaltung, keine Erhöhung der Umlagen und die Halbierung der Kosten für Sicherheitsdienste in Flüchtlings-Gemeinschaftsunterkünften gefordert. Auch diese Anträge wurden von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Martina Klement sagte zu Mulch: „Die Unterbringung der Flüchtlinge gehört zu den Pflichtaufgaben. Damit können Sie Ihre komplette Rede in den Müll schmeißen.“

Darüber hinaus: „Wir befinden uns im Dauerkrisenmodus.“ Aber mit den Folgen der Klimakrise werde es erst richtig teuer. Sie kritisierte, dass es auf den kreiseigenen Gebäuden noch immer zu wenig Dachbegrünung und Photovoltaik-Anlagen gebe. Und sie forderte eine Entbürokratisierung. „Wir verwalten uns sonst zu Tode.“ Das heißt für sie auf Kreisebene: „Wir müssen auch an die Doppelstrukturen bei Kreis und Stadt Wetzlar ran und überlegen, wo wir sparen können.“ Also beispielsweise bei den sowohl von Stadt und Kreis angebotenen Volkshochschulen.

Tim Zborschil (Linke) fragte, ob der Haushalt wirklich die Bedürfnisse aller Menschen im Lahn-Dill-Kreis erfülle. Nach seiner Meinung: nein. Denn er sieht eine wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen und sprach von einer „systematischen Ungerechtigkeit in diesem Land“. So verlangte er eine Umverteilung des Geldes im Haushalt des Lahn-Dill-Kreises für mehr soziale Leistungen. Anträge seiner Fraktion für mehr Geld für die Tierschutzvereine in Wetzlar und Dillenburg sowie Finanzierung von Schülerfahrten zu Gedenkstätten wie zum Beispiel in Hadamar und Buchenwald lehnte die Kreistagsmehrheit ebenfalls ab.

FWG-Fraktionsvorsitzender Jörg Ludwig sprach von einem „historischen Moment“, es sei der letzte Haushalt, den Landrat Wolfgang Schuster eingebracht habe. Über 90 Prozent der Ausgaben des Kreises seien durch Vorgaben von Bund oder Land bestimmt, der Kreis habe darauf selbst keinen Einfluss. Die Umlageforderung an die Kommunen sieht er als Obergrenze. Ob Klimaschutz oder Herausforderung Flüchtlingsunterbringung – sein meist verwendeter Satz lautete: „Wir sind da auf einem guten Weg.“

Matthias Büger (FDP) sagte: „Bei den Kosten kommen wir langsam an unsere Grenzen. Auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen.“ Der Unterschied zur AfD: „Wir als Koalition suchen nach Lösungen, die AfD freut sich über die Probleme und versucht, daraus Profit zu schlagen.“

Die stärksten Kostensteigerungen verzeichne der Kreis bei seinen Schulträgeraufgaben, bei den Ausgaben für neue und modernere Schulgebäude und deren digitaler Ausstattung. „Das zeigt: Bildung hat bei uns höchste Priorität.“ Zu den Anträgen der CDU: Sie fordere Mehrausgaben von einer Million Euro und gleichzeitig eine Absenkung der Umlage-Forderung. „Das ist Voodoo-Economics.“

Kritik kommt aus 11 von 23 Rathäusern

11 der 23 Städte und Gemeinden hatten vorab schriftlich Stellung zum Kreis-Haushalt bezogen, konkret: die Bürgermeister aus Dillenburg, Breitscheid, Sinn, Eschenburg, Braunfels, Waldsolms, Driedorf, Lahnau, Hüttenberg, Leun und Schöffengrund. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen die geplante Erhöhung der Umlagen, die sie künftig an den Kreis zahlen sollen. Damit würden auch ihre eigenen Haushalte demnächst ins Minus rutschen.

Teilweise monierten sie auch den weiteren Anstieg der Planstellen in der Kreisverwaltung, zusätzliche 36 auf insgesamt knapp 1100 Vollzeitstellen. Aus dem Sinner Rathaus hieß es beispielsweise: „Wir hätten gerne für unsere Mitarbeiter das Job-Ticket eingeführt, geht aber nicht, gleichwohl bezahlt der Lahn-Dill-Kreis mit unserem Anteil an der Kreis- und Schulumlage genau dieses Job-Ticket für die kreisangehörigen Mitarbeiter.“

Landrat Wolfgang Schuster (SPD) sieht keine Alternative und erklärte am Montag im Kreistag: „Wir könnten den Kreis auflösen, dann müssten die Städte und Gemeinden keine Umlagen zahlen. Aber dann müssten sie die Aufgaben selbst erledigen und würden wahrscheinlich Zweckverbände dafür gründen.“

Quelle: Wetzlarer Neue Zeitung, 21.03.2024